Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.

In der zweiten Runde der Blogparade geht es um Gedanken zur Arbeitszeiterfassung in der Schule und im Lehrerberuf:

Meine Zeit ist mir eigentlich zu schade dafür, meine Arbeitszeit zu erfassen. Lieber beschäftige ich mich mit der nächsten Stunde, plane im Kopf die kommende Chorprobe oder denke über das nach, was mich sonst besonders beschäftigt.

Wenn ich mir Gedanken über die Zeit mache, die etwas mich kostet, dann sind es doch die Tätigkeiten, nach denen ich wenig oder gar keine Lust verspüre. Und in der Regel betrifft das bürokratische Tätigkeiten oder das grinding der Klausurstapelkorrektur, bei der ja auch jede einzelne interessant und spannend ist, wenn sich die Schülerinnen und Schüler Mühe gegeben haben, und nur die monotone Summe der Gesamttätigkeit regelmäßig jedes Quäntchen an Prokrastinationskompetenz erweckt, das in mir steckt.

Anstelle einer Arbeitszeiterfassung erscheint mir ein Bürokratie- und Dokumentationsabbau in meiner kleinen beschränkten Perspektive auf das System Schule sehr viel verlockender.

Denn diese Tätigkeiten sind zwar in einem gewissen Maße nötig, sie nerven aber und nehmen nach meinem Gefühl immer nur zu. Das ist auch durch die Digitalisierung nicht besser geworden. Im Gegenteil: Durch die verschiedenen Systeme, die alle eifrig durch 2-Faktor-Authentifizierungen von mir und einander getrennt sind, bin ich nicht selten länger damit beschäftigt, mich einzuloggen, als Inhalte zu erstellen.

Die Technik sollte dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. So wie wir Technik im systemischen Kontext nutzen, ist es leider oft umgekehrt. Ich will aber das Thema hier nicht aus den Augen verlieren.

Ich sehe in der Arbeitszeiterfassung durch meinen Arbeitgeber nämlich vor allem dystopische Gefahren. Ich denke den Gedanken einmal weiter: Zuerst müsste ich wohl, um auch ja jede Sekunde gerecht zu erfassen, zumindest all meine erfassbare Arbeit an einem sie erfassenden Gerät vornehmen. Das steht ja nun seit einiger Zeit zur Verfügung und ist sicher gut gemeint. Meine privaten Geräte, mit denen ich meinen Unterricht vorbereite, sind mir aber viel lieber, weil sie auf meine Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnitten sind. Es macht mir schlicht viel mehr Spaß, an ihnen zu arbeiten. Jetzt kann man das natürlich auch mit einer ministerialen App lösen, die ich immer anschalte, wenn ich arbeite. Dann kann ich meine Geräte weiter nutzen – Problem gelöst. Nein. Über kurz oder lang – da bin ich mir sicher – wird die Arbeitszeiterfassung jedenfalls zu einem Instrument werden, das vor allem die Bereiche effizienter gestalten und mit „Entlastung“ versehen möchte, in denen es mir gerade nicht hilft und die im Gegenteil den Kern meiner Erfahrung im Lehrerberuf darstellen, die mich fundamental prägen.

Ich gebe mich in diesen Beruf ja als ganzer Mensch. Wenn ich Unterricht, wenn ich Stunden vorbereite, dann arbeite ich nicht To-Do-Listen und Unterrichtsentwurfsprotokolle ab, sondern versuche Brücken zwischen mir, den Themen und den mir vertrauenden Menschen zu bauen. Das erfüllt mich mit Freude, weil es eine zutiefst sinnvolle Tätigkeit ist, weil ich anderen das zeigen kann, was mir am Herzen liegt, was mich begeistert und weil ich vielleicht bei der einen oder dem anderen auch einen Funken für meine Leidenschaft erwecken kann. Deswegen bin ich Lehrer geworden, deswegen würde ich keine andere Arbeit wählen. Und die braucht genau so lange, wie sie eben Zeit benötigt. Oft weiß ich, dass wir einfach gemeinsam weiterarbeiten, dann ist meine Stundenplanung in einem Satz erledigt. Mal möchte ich einen neuen Zugang schaffen, weil er besser zu mir oder den Menschen passt, mit denen ich arbeite. Manchmal muss ich ein Problem aufarbeiten, auf das wir gestoßen sind. Dann sitze ich an einer einzigen Schulstunde vier Zeitstunden an der Vorbereitung. Und ich liebe jede einzelne Minute davon. Natürlich – ich arbeite Vollzeit – muss ich auch vieles ganz knapp erledigen, damit ich überhaupt alles schaffe. Dennoch bin ich mit dieser Jonglage bisher unterm Strich zufrieden und genieße vor allem das Vertrauen, dass mir vom Staat entgegengebracht wird, dass ich nämlich in der Lage bin, in meiner eigenen Verantwortung mit diesen An- und Überforderungen umzugehen und das Beste daraus zu machen.

Was würde nun passieren, wenn die Arbeitszeit dieses Prozesses erfasst wird? Ich wechsle einmal kurz die Perspektive auf die Seite, die daran Interesse hat. Zunächst würde ich einmal alle erfassten Daten auswerten. Das gibt dann die Sicherheit, dass alles auf empirischem Fundament steht. Dann würde ich daraus eine Standardzeit für jeden Planungsvorgang extrapolieren (am besten mithilfe „generativer KI“, dann ist das Ergebnis gleich zeitgemäß geadelt). Die Planung einer professionellen Musikstunde lässt sich dann bestimmt mit einem so tollen Wert wie 24 Minuten und 46 Sekunden berechnen. Diesen Wert setzt dann der Arbeitgeber für Vergütung und Anrechnung an.

Wenn ich in meiner Begeisterung oder auch, weil ich heute einfach langsam bin, mehr Zeit in meine Vorbereitung stecke, dann wird mir das nicht als Überstunde angerechnet, es wird auch nicht unter den Tisch fallen: Wenn die Daten klar vorliegen wird mir das im nächsten Schritt vorgeworfen werden. Ich bekomme dann wahrscheinlich Fortbildungsmaßnahmen angeboten, Seminare wie „effiziente Unterrichtsplanung“ und „Workload-Hacking für Pros“. (Hier sehe ich auch tolle Möglichkeiten für Automatisierungen im Email- und Kurznachrichtenbereich). Und wenn ich da nicht hingehen will, werde ich als nächstes verpflichtet. Weil ich kein guter Mitarbeiter bin, wird mein Arbeitgeber mir gegenüber misstrauisch. Besser, ich bekomme keine allzu verantwortungsvollen Tätigkeiten mehr übertragen. Nicht, dass ich das nicht auf die Reihe bekomme!

Junge Berufseinsteiger werden von der ersten Minute ihrer Arbeitstätigkeit darauf hinerzogen werden, die Stunden nach möglichst kontrollierbaren, effizienten Schemata zu planen und durchzuführen. Prüfungen werden genau das abfordern. Und bei alldem bleiben die Menschen in diesem System mehr und mehr auf der Strecke. Einige bekommen gespiegelt, dass sie ihre Arbeit nicht richtig machen, dass sie mehr als vorgesehen investieren. Andere werden mit ihren Problemen aus Gründen der Effizienz übergangen und übersehen. Niemand wird glücklicher durch die Arbeitszeiterfassung in der Schule werden. Stattdessen wird durch sie Misstrauen in alle Richtungen institutionalisiert.

Ich kehre aus der Dystopie zurück – zum Glück sind wir davon noch entfernt. Aber wie weit? Manche Tendenzen vermeine ich auch heute schon zu erkennen. Welche Wirkungsmacht auf meine tägliche Arbeit die Datenerhebung hat, kann ich schon jetzt beobachten: Wenn beispielsweise ausgerechnet in einer harten Phase, wo ich auf dem Zahnfleisch gehe, Vertretungsstunden in meiner Stundenplansoftware aufploppen, ich nachfrage und mir die knallharte Statistik vorgelegt wird: „Letzten Sommer im August sind bei dir einmal drei Stunden ausgefallen, weil die Klasse auf Fahrt war. Die rechnet das Programm dir jetzt wieder in den Plan. Keine Sorge, das stimmt alles.“ So fühlt es sich für mich aber leider nicht an. Und dass es mir gerade nicht gut geht, spielt auch keine Rolle. Dafür können beide Seiten nichts. Ich wünsche mir aber mehr Zeit dafür, uns in den Zwängen des Alltags gegenseitig als Menschen wahrzunehmen. Denn wir sind keine Uhren.

Michael Ende hat in seinen Büchern, zu diesem Thema besonders in „Momo“ schon vor langer Zeit viele Probleme antizipiert, die heute vor uns aufragen. Die grauen Herren sind mir ein warnendes Beispiel, wenn es um Zeiterfassung und Zeitsparen geht. Dort stehen die weisen Sätze:

Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.

Da ich mit ganzem Herzen im Lehrerberuf tätig bin, ist alle Zeit, die ich in diese Herzensangelegenheit stecke, lebenswerte Zeit. Wieviel das ist, kann ich nur selbst entscheiden, das lässt sich nicht in einer Statistik erfassen. Mein Arbeitgeber darf mich gerne fürsorglich dabei begleiten und mich gerne zugewandt betreuen, wenn ich mit zu viel Idealismus arbeite und mich überfordere. Er darf sich erkundigen, warum ich mit weniger Energie als gewohnt arbeite und meinen Idealismus verloren habe.

Die Freiheit, die ich heute in diesem Beruf habe, aufzugeben, um einen scheinbar kontrollierteren Arbeitsablauf zu bekommen, würde mir aber mit Sicherheit die Freude daran nehmen.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“

  1. Avatar von Erik Grundmann

    Sehr guter Beitrag! Zeit ist nur ein begrenzt sinnvoll messbarer Faktor.

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