Zur Jugendstudie der Vodafone-Stiftung 2023

„Digitalisierung“ und „Kultur der Digitalität“ und „Digitale Kompetenzen“ in einer Jugendstudie

Heute lese ich, dass die Jugendstudie zur digitalen Bildung der Vodafone-Stiftung (1) veröffentlich wurde. Nun darf man einer solchen schon namentlich als privatwirtschaftlich erkennbaren Stiftung und ihren Erkenntnissen sicher erst einmal ein gesundes Misstrauen entgegenbringen. Neugierig lese ich dennoch, was dort herausgefunden wurde. Da mir das stochastische Wissen fehlt und ich nicht urteilen will über Dinge, von denen ich weiß, dass ich es nicht kann, bleibe ich an einigen Formulierungen hängen, die mir auffallen.

Eine Zahl, die dort an einer Stelle behandelt wird, ist 69 Prozent. 69 Prozent der Berufseinsteigenden gaben an, dass sie sich von ihrer Ausbildungsstätte nicht ausreichend auf ihr „Arbeitsleben in der Digitalität“ vorbereitet fühlen. So steht es jedenfalls auf S.24 der Dokumentation der Studie (2). Direkt daneben wird die Zahl dann (kleiner) gleich wieder kassiert. Der Wert 69% gibt an, wer sich in der Vergangenheit nicht ausreichend vorbereitet gefühlt hat.
Außerdem fällt mir auf, dass die Kategorien, nach denen da genau gefragt wurde „schlecht“, „weniger gut“, „gut“ und „sehr gut“ lauten. „Nicht ausreichend“ gibt es dort nicht. Könnte es nicht denkbar sein, dass manche die Kategorie „weniger gut“ nicht mit „nicht ausreichend“ gleichsetzen würden? Jedenfalls, Entwarnung: Aktuell fühlen sich 68% der jungen Menschen gut oder sogar sehr gut vorbereitet. Wie schön!

In der Interpretation der Studie durch Vodafone wird übrigens formuliert: „68 Prozent der Jugendlichen…bewerten die Vorbereitung…als sehr gut oder gut. Anders fällt das Urteil bei jungen Menschen aus, die bereits über einen Abschluss verfügen oder im Berufsleben stehen. Hier bewerten 69 Prozent die Vorbereitung während ihrer Schulzeit rückblickend als unzureichend.“ (3) Wie gut, dass letztere erstens einen Abschluss geschafft haben oder zweitens sogar schon im Berufsleben stehen und damit ein Hauptziel der Schule (egal ob der Vergangenheit oder Zukunft) bereits erreicht haben. Oder bin ich da zu schnell zufrieden?

Zumindest erschließt sich mir bei den aktuellen Ergebnissen, also den 68 Prozent „Glücklichen“, nicht, warum die Studie laut Matthias Graf von Kielmansegg „ein Weckruf für uns sein“ sollte. (3) Denn offenbar ist inzwischen ja alles viel besser. Und ist es nicht ebenso erkennbar tendenziös, wenn die eigentlich positive Entwicklung der Zahlen so präsentiert wird, dass dennoch das vergangene Problem in den Mittelpunkt und sogar in die Überschrift aufgenommen wird? „Rund 70 Prozent der Berufseinsteigenden fühlen sich nicht fit für die digitale Arbeitswelt.“(3) Muss diese Darstellung sein? Oder soll das nur in bestem Sinne unser vielbeschworenes „kritisches Denken“ herausfordern?

Es ist ja auch grundsätzlich gut, lieber nach so etwas wie einem Gefühl zu fragen, als tatsächlich zu prüfen, was die Befragten können oder nicht. Das war jetzt ironisch (man weiß ja hier im Internet nie, wie man verstanden wird)! Denn auch das finde ich ziemlich kritikwürdig. Dabei kommt ein nebulöses Stimmungsbild heraus und auch wenn es sicher wichtig ist, Gefühle ernst zu nehmen, stehen sie rationalen Entscheidungen im Weg oder verstellen den Blick auf objektive Erkenntnisse. (Nehmt das, ihr Phrasendrescher!)

Zunächst müsste man jedenfalls überprüfen, was dieses Gefühl denn ausmacht. Und vorher müsste man den Befragten vor allem genau erklären, was unter digitalen Kompetenzen im Sinne der Studie denn gemeint sei. Dazu aber schweigt sie. Und nicht nur sie.

Ich beobachte auf der Bühne, auf der sich diejenigen versammeln, die besonders lautstark die Zukunft im Blick haben und eine bessere Welt durch ein besseres Bildungssystem erschaffen wollen, zwei Tendenzen: Entweder man definiert wichtig klingende Begriffe nicht oder man liefert so viele Definitionen, dass sich die Begriffe gar nicht grundsätzlich fassen lassen.

Was aber nützen diese Begriffe dann? (Mir jedenfalls nichts!) Und: Kann es sein, dass man einfach noch nicht zu Ende gedacht hat und deshalb entweder nichts sagen kann oder zu viel sagen muss?

Überzeitliche Erkenntnisse und Leitbilder zeichnen sich doch in aller Regel durch Klarheit aus, so wie etwa dieses latinisierte Zitat aus dem alten Griechenland:

Nosce te ipsum! „Erkenne dich selbst!“

Ich habe einmal folgendes gelernt: Das humanistische Bildungsideal, das sich diesen Ausspruch zu Herzen genommen hat, sieht den Prozess der Selbsterkenntnis, das Erkennen der eigenen Begabungen und Schwächen als das zentrale Thema von Bildung. Ist dieser Prozess im Rahmen von Schule erfolgreich, sollte ein Mensch mit ausdauerndem, kritischem, lernbereitem und zur Selbstreflektion fähigen Geist und Charakter hervorgehen, den die Schule mit gutem Gewissen nicht nur in die Arbeits-, sondern in die ganze Welt entlassen kann.

Der Bildungsdirektor der OECD, Andreas Schleicher, kommentiert die Studie der Vodafone-Stiftung mit den Worten: Wenn wir jungen Menschen Resilienz, Motivation, ein Growth Mindset und effektive Lernstrategien vermitteln, dann sind sie vorbereitet für Berufe, die es heute noch nicht gibt, für Technologien, die noch nicht entwickelt wurden, und für soziale Herausforderungen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.“ (3)

Ich frage mich: Was davon deckt das humanistische Bildungsideal nicht ab? Und was haben Tablets und Geräte damit zu tun?

Meine Antwort: Nichts.


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