Das Fediverse und die Diskussionskultur in sozialen Medien

Warum bin ich im Fediverse gelandet – und wie geht es für mich weiter?

Als die Corona-Pandemie 2020 über die Welt kam, las ich in mehreren überregionalen Tageszeitungen vom #twitterlehrerzimmer, das schon eine Weile existierte und nun plötzlich von allen Seiten wegen des pragmatischen und progressiven Umgangs seiner Teilnehmenden gelobt wurde.

Neugierig meldete ich mich dort an und lernte so auch das Medium Twitter kennen, wobei ich vermute, dass ich es wohl nicht so nutzte, wie viele andere User:innen: Ich bin dort immer nur allen Einträgen im #twlz gefolgt, und zwar chronologisch („Neuste“).

In der Tat habe ich dort viele Anregungen gefunden. Vor allem eine Fülle von Tools, denn die Pandemie war eine Glückszeit für alle EdTech-Unternehmen und -Startups, so dass täglich neue Werkzeuge und Websites vorgeschlagen wurden, die ich dankbar ausprobierte und die z.T. meinen Fern- und Hybridunterricht bereicherten. Zusammen mit der Edumail von Nele Hirsch hatte ich so schnell einen Koffer voller Möglichkeiten zusammen, so dass mir diese so eingeschränkte Zeit unterrichtlich manchmal sogar besonders viel Spaß machte.

Meine Teilnahme bei Twitter war allerdings fast nur passiv, denn die teils sehr emotionale Stimmung und pädagogisch aus meiner Sicht einseitige Ausrichtung dort bereitete mir Unbehagen.

Emotional waren zu diesem Zeitpunkt vor allem die verzweifelten Stimmen derer, die mit der Umsetzung der Corona-Maßnahmen unzufrieden waren. Viele wollten sie strenger als sie bei Ihnen vor Ort umgesetzt wurden. Im #twlz dominierte diese Haltung in meinen Augen und schnell wurden die, die es lockerer wollten, „Schwurbler:innen“ und „Querdenkende“. (Bei manchen traf dies sicher auch zu.) Der Diskussionskultur tat das nicht gut. Aber mir fehlt die Erfahrung in sozialen Medien: Ist es vielleicht immer so, dass Positionen da nicht ausdiskutiert werden, sondern schnell in ad-hominem-Argumente abdriften, so dass am Ende nur ein frustriertes oder höhnisches Zurückziehen auf die eigene Position bleibt?

Pädagogisch einseitig erschienen mir die Impulse dort, weil die Gruppe sich fast ausschließlich über ein progressives, reformpädagogisches Selbstbild konstituierte. Ich fasse kurz mein Verständnis dieser Positionen zusammen: Fast jede(r) Lernende wird vom System Schule unter falschen Zwang gesetzt, Noten und Prüfungen spielen eine viel zu große Rolle und sollten abgeschafft werden, die 4K (Kollaboration, Kritisches Denken, Kommunikation, Kreativität), überfachliche Kompetenzen, müssen viel stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. Hier erhofft(e) man sich die Transformation von Schule. Es klingt sicher schon durch, dass ich das mit Skepsis betrachte. Dazu schreibe ich aber lieber noch einen anderen Blogbeitrag, denn die Frage hier lautet ja anders.

Zum Ende der Pandemie ging auch mein Interesse am Twitterlehrerzimmer zurück. Dort dominierten gerade Eitelkeiten einzelner Beeinflusser, die gegenseitig ihre Follower mobilisierten. Dazu war mir meine Zeit zu schade. Außerdem drohte die Übernahme durch Musk am Horizont, dessen Seltsamkeit mir immer mehr bewusst wurde.

Parallel hatte ich mich schon einmal bei Mastodon angemeldet, aber auch hier erst einmal nur mit Interesse gelesen. Relativ schnell fand ich die Inhalte aber interessanter, vor allem, weil hier zwar auch Werkzeuge und Methoden vorgestellt werden, diese aber viel häufiger unter der Perspektive freier Software und Datenschutzfreundlichkeit besprochen wurden. Das macht die Sache natürlich nicht einfacher, der Pragmatiker in mir fühlt sich damit nicht wohl. Gleichzeitig empfinde ich es aber als meine Pflicht als Lehrperson, Lösungen zu suchen, die zugänglich und datensparsam sind. Und wenn die Suche gelingt, ist es eine besondere Freude.

Da mir die technikaffine, aber kritische Perspektive im sehr viel besser gefällt, melde ich mich hier auch selbst zu Wort (und schreibe nun sogar einen Blogbeitrag). Das Fediverse rühmt sich einer anderen Diskussionskultur, wo gegenüberstehende Positionen auch im direkten Kontakt eher akzeptiert werden. Und es gibt tatsächlich tolle Beispiele hier für Threads, bei denen ich begeistert bin vom sachlich harten, aber freundlichen Austausch bei dem am Ende keine Verurteilung steht, sondern sogar eine Bereicherung der eigenen Perskeptive stattfinden kann. Das setzt voraus, dass ich eine Position habe, aber auch bereit bin, mich in Frage zu stellen. Wie schön, wenn das in einem gemeinsamen Austausch gelingt!

Nichtsdestotrotz kommt auch die Diskussion hier viel zu oft an ihre Grenzen, wie man kürzlich in der Auseinandersetzung um eine mögliche Abwanderung zu #BlueSky sehen kann. Denn diejenigen, die von Twitter den Weg ins gewagt haben und darauf hofften, hier ein ähnliches Format zu finden, müssen zu Recht enttäuscht sein. Viele große Influencer sind nicht da (ist es wirklich die fehlende Zugänglichkeit des Fediverse?) und wer eine Methode vorstellt, die bei „Alteingesessenen“ auf Widerspruch stößt, muss sich schnell und zum Teil auch sehr unfreundlich belehren lassen.

Das ist sicher nicht die Kultur, die hier so hoch gelobt wird und das macht mir mein persönliches Dilemma deutlich: Ich möchte in den sozialen Medien nicht nur in meiner Blase unterwegs sein. Mein Drang ist es vor allem, irgendwie dem Puls möglichst vieler Diskussionen nahe zu sein. Zusammenfassungen und endgültige Entscheidungen kann ich auch den professionellen Medien entnehmen, hier fasziniert mich der direkte Austausch und Perspektivwechsel.

Umso mehr bedauere ich, dass die Diskussionskultur in der Gesellschaft in den letzten Jahren so sehr gelitten hat, dass viele sich im Ton vergreifen und ebenso viele das Weite oder ihre Bubble suchen, um nur nicht mit gegenteiligen Positionen konfrontiert zu werden. Ich empfinde aber gerade das als bereichernd, solange die „andere“ Seite so sein darf, wie sie ist. Was werde ich also tun?

Das Fediverse bleibt der Ort, an dem ich mich hauptsächlich digital-sozial bewege. Um in meiner Blase aber nicht den Kontakt zu anderen Impulsgeber:innen zu verlieren, werde ich auch vorsichtig den anderen Trends folgen, soweit meine Zeit es zulässt. Ist das die Angst, etwas zu verpassen (FearOfMissingOut)? Vielleicht schon. Ich möchte es aber im Internet gar nicht allzu bequem haben. Dafür nehme ich mir lieber ein Buch und verziehe mich ganz analog auf meinen Sessel oder ich spiele ein Computerspiel.


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Kommentare

2 Antworten zu „Das Fediverse und die Diskussionskultur in sozialen Medien“

  1. Avatar von Herr Mess

    Schöner Text! Und schöner Blog. Kommt gleich in meinen Feed!
    Ich kann deine Beobachtungen nur teilen. So richtig belehrt worden bin ich bei Mastodon allerdings noch nicht. Ich genieße dort das gemäßigte Tempo sehr. Diskussionen gehen doch deutlich tiefer als in anderen Netzwerken. Das gefällt mir. Aber das FOMO-Problem kenne ich auch ein bisschen 😉

    1. Avatar von Fen

      Danke! Nein, ich habe auch keine Belehrung erhalten, aber in letzter Zeit beobachte ich immer mal wieder welche und die sind dann wiederum nah am Ton von (ehemals) Twitter… Vielleicht sind wir inzwischen einfach doch mehr geworden und da bleiben solche Effekte nicht ganz aus?

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