Mittags kein Recht und morgens nicht frei – es gibt viele Gründe, warum ich meinen Beruf liebe.

Zunächst: Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich Lehrer geworden bin. Einerseits ist da wohl ein großes Sicherheitsbedürfnis: Ich habe Musik und Latein studiert und wenn Letzteres beruflich natürlicherweise zum Gymnasium führt, so hätte mich das Musik- und Instrumentalstudium auch ohne größere Schwierigkeiten in eine Tätigkeit als mehr oder weniger freier Künstler führen können.

Die Vorstellung aber, nicht zu wissen, was nächsten Monat oder nächstes Jahr beruflich auf mich zu kommt, behagt mir ganz und gar nicht. Dafür bin ich zu ängstlich. Und so bin ich sehr froh, dass ich in der verlässlichen Struktur der Regelschule untergekommen bin.

Ein anderer Grund, warum ich Lehrer geworden bin, ist, dass ich sehr gerne lerne. Auch wenn mit zunehmendem Alter – ich bin jetzt Mitte vierzig – die Gedächtniskraft die Spritzigkeit junger Jahre vermissen lässt, bin ich doch neugierig und freue mich immer, etwas von den unvorstellbar vielen Dingen, die diese Welt für uns bereithält, und das ich noch nicht kannte, zu erfahren und kennenzulernen. Für die Schule gibt es ständig etwas Neues zu lernen: Allein in meinen beiden Fächern existiert so viel, was ich noch nie gemacht habe und womit ich mich noch nie beschäftigt habe, dass es für mehrere Leben genügte. Und jedes Jahr treffe ich neue Menschen.

Das beides zusammen würde wahrscheinlich schon ausreichen, um diesen Beruf attraktiv für mich zu machen. Da ist aber noch mehr.

Ich mag an meinem Beruf sehr, dass ich mit jungen Menschen zusammenarbeiten darf. Einer meiner Brüder ist Arzt und sieht in seinem Alltag eher das andere Ende der menschlichen Existenz. Ich bewundere ihn dafür und genieße es stattdessen, Jugendliche und junge Erwachsene bei ihrem Start ins Leben zu begleiten. Jahr für Jahr treffe ich auf unverbrauchte Geister, die einerseits bereit sind, sich von mir etwas beibringen, sagen, zeigen zu lassen, die andererseits in Frage stellen, was und wie ich es tue. Dieses Spannungsfeld empfinde ich als reizvoll. Dazu kommt der Austausch im Kollegium, das – wie unterschiedlich wir auch sein mögen – zumindest im Großteil dieselbe Leidenschaft für den Beruf teilt.

Dass ich vom Staat mit großem Vertrauen in meine Tätigkeit und mit einem – für mein Empfinden – hohen Gehalt ausgestattet werde, sehe ich als Privileg. Dieses Vertrauen zeigt sich darin, dass ich in dem von mir geführten Unterricht in größtmöglicher Freiheit arbeiten darf. Ich kann selbst entscheiden, was, auf welche Weise, und (in gewissem Rahmen auch) wann ich es behandeln möchte. Sozialform, Methode, Tiefe und Tempo: In allem vertraut man mir, dass ich das schon so gut wie möglich machen werde. Das motiviert mich dazu, es auch wirklich so gut wie möglich zu tun.

Mit Bedauern und einer gewissen Sorge beobachte ich in den letzten Jahren Tendenzen, die sich gar nicht in einer bestimmten Generation verorten lassen, die mit dieser großen Freiheit hadern und gerne verbindlichere Vorgaben hätten. Auf jeder Fortbildungsveranstaltung, die ich besuche, wünschen sich Teilnehmende z.B. genaue Raster, wie etwas umzusetzen ist. Und auch das Zentralabitur fördert eine gewisse Unselbständigkeit. Ich kann verstehen, dass die große Verantwortung, die wir da übertragen bekommen, manche Ängste auslöst. Mache ich das gut genug? Was, wenn ich etwas vergesse? Das habe ich noch nie unterrichtet, wie soll ich das im Alltag nebenher schaffen? Ich würde gerne all diesen Kolleginnen und Kollegen Mut machen. Denn gerade im Zauber des Neubeginns und in seiner Gestaltungsfreiheit, egal ob es ein neues Thema, eine neue Lerngruppe oder ein neues Schuljahr ist, liegt für mich eine Quelle tiefer Befriedigung.

Ich schätze sehr, dass es einen stark strukturierten Teil meines Arbeitstages mit festen Stunden und Pausen gibt und ich dann (mehr oder weniger früh) am Nachmittag selbst bestimme, in welchem Umfang, zu welcher Zeit und mit welchen Mitteln ich nacharbeite und vorbereite. Auch wenn die unterrichtsfreie Zeit oft gefüllt ist mit Organisationstätigkeiten und Korrekturen (ich will mich nicht beklagen, es gibt Fächer mit deutlich höherem Korrekturaufkommen), kann ich sie mir selbst einteilen. Und in den Sommerferien habe ich oft fünf von sechs Wochen frei.

Ich kann mich immer wieder neu erfinden! Material, das nicht funktioniert, ändere ich beim nächsten Mal. Methoden, mit denen ich vor zehn Jahren jongliert habe, erscheinen mir heute überflüssig oder nicht zielführend. Egal wie laut die Stimmen von außen sind, die an Schule und Lehrkräfte herangetragen werden, noch bin ich Herr über meinen Unterricht und wenn ich die Tür zu meinem Klassenraum schließe (oder beschließe, dass sie heute geöffnet bleibt), dann empfinde ich es als Ehre, dass ich entscheiden darf, was ich mit all diesen Stimmen mache. Ich versuche, dieses Vertrauen durch die Qualität meines Unterrichts und durch einen menschlichen Umgang miteinander zu rechtfertigen und zu bestätigen.

Und ich hoffe, dass das noch sehr lange so bleibt, denn die Freiheit dieser Verantwortung macht für mich einen großen Teil der Attraktivität des Berufs aus. Und wenn die Rufe nach eindeutigen Vorgaben laut genug und gehört werden, fürchte ich, dass das nicht mehr so sein wird. Lehrpläne wie in der DDR, wo für jede Stunde Verlaufspläne vorlagen, mögen einigen wünschenswert scheinen – mich würde das wohl unglücklich machen. Und wenn wir Lehrkräfte uns in frei gewählter Unmündigkeit wohler fühlen als in mündiger Freiheit – worin wollten wir jungen Menschen da ein Vorbild sein?


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