Gerne folge ich dem Aufruf dazu, auf dem eigenen Blog darüber nachzudenken, wie wir von einem zu starken Fokus auf Technik (hier am Beispiel „KI“) wieder zu einer Perspektive auf Unterricht und Schule zurückkehren, die das Lernen an sich in den Mittelpunkt stellt.
Gerne folge ich dem Aufruf deshalb, weil es mich schon vor den Zeiten von COVID gestört hat, wie mit Technik in der Schule – in meinem Fall speziell im Gymnasium – umgegangen wird. Und gerne folge ich ihm deshalb, weil es in meinen Augen ein grundsätzlicheres Problem gibt als diese Debatte, ein Problem, das diese aber erzeugt.
Der Bereich der technischen Ausstattung von Schulen hat sich in den letzten Jahren zu einem komplizierten Spannungsfeld entwickelt, einem Feld auf dem zum Teil erhebliche Konflikte bestehen. Ein Problem im Umgang mit Technik ist in meiner Wahrnehmung, dass ihr Einsatz und ihre Bedeutung in einem Maße ideologisiert und instrumentalisiert ist und wird, wie es in den Jahrzehnten vorher nicht der Fall gewesen ist.
Da sind auf der einen Seite des Spektrums die, die Digitalisierung als Kampfbegriff einer reformpädagogischen Neuorientierung von Schule ins Feld führen. Oberflächlich verknüpft mit Begriffen wie „VUCA-Welt“ und „4K“ sehen sie in den technischen Veränderungen gleichzeitig Aufforderung und Potenzial, Schule endlich aus der „Kreidezeit“ zu führen und zu einem Ort zu machen, an dem man gerne ist und nun also auch mit „KI“ in hoher intrinsischer Motivation lernt: Packen wir die „KI-Revolution“ an?
Auf der anderen Seite des Spannungsfeldes sieht man schon das Abendland untergehen, wenn neben die Kreide(zeit)tafel eine Projektionsfläche gesetzt wird und kündigt dann endgültig innerlich, wenn Mitteilungsbuch und Stundenplan über Smartphone- und Web-Apps kommuniziert werden. Für diese Betroffenen steht Digitalisierung für alles, was sie an der sich verändernden Schule verachten: Dass es vor allem um Äußerlichkeiten, eben das Medium selbst geht und nicht darum, jungen Menschen wichtige Tugenden anhand von Inhalten mitzugeben. Von Niveau gar nicht zu reden.
Dazwischen befindet sich die sehr große Mehrheit der Menschen. Diejenigen, die keine Haltung dazu haben, weil sie keine Kapazitäten oder Lust haben, sich mit technischen Problemen und Lösungen zu beschäftigen oder Angst davor oder die Diskussion gar nicht recht mitverfolgen.
Dazu kommt ein unübersichtlicher oder zumindest unpraktischer Zuständigkeitszustand von Schule bzw. Schulleitung, Schulträger, Land und Staat und nicht zuletzt den Elektrofachbetrieben vor Ort, bei dem beständig Interessen kollidieren. Und nicht einmal auf einer dieser Ebenen ist man sich untereinander einig. Das führt dazu, dass die stark geforderten und nicht selten überforderten Teilnehmenden am System Bildung dankbar die Angebote der Edtech- und Bigtechunternehmen annehmen, die Digitalisierung an den Schulen zu übernehmen. Und so reihen sich dann Promethean-Boards mit Worddokumenten an AppleTVs mit denen Microsoft-Teams-Sitzungen abgehalten werden – wenn denn alles funktioniert.
Von einem Zustand digitaler Mündigkeit ist dieses ganze System etwa soweit entfernt wie Voyager 1 von der Erde. Wie sollte es uns Erwachsenen da gelingen den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild zu sein? Und gibt es nicht wirklich wichtigere Themen als die Frage, mit welcher App man was wie schön hinbekommen hat oder welche Aufgaben man mit welchem Tool in Sekundenschnelle hergestellt hat (nur leider kann ich mich gerade nicht einloggen, weil…)?
Meine Beobachtung – und ich schreibe das natürlich als selbst Betroffener, also offensichtlich nicht objektiv – ist, dass das Problem viel grundsätzlicher ist. Unsere globalisierte Welt weiß nicht, wohin mit sich. Wir Menschen wissen nicht, wohin mit uns. Wir zerstören unbestreitbar unseren Lebensraum, wir schaffen es nicht, die wichtigen Fragen einer gemeinsamen Zukunft auf der öffentlichen Bühne in einer Weise zu behandeln, die nicht entweder in retrospektiv-nostalgischer Verdrängung, hedonistisch-egoistischer Übertreibung oder in radikalem Predigertum ausufert. Die Polarisierung der Positionen wird noch verschärft durch die Allmacht der sozialen Medien, in denen sich alle möglichst passend präsentieren wollen und vielerorts Algorithmen Trends erzeugen und nicht abbilden. Und diesen Zustand spüren wir alle. Auch junge Menschen. Das hat weder etwas mit „KI“ noch mit Technik zu tun, aber beides bietet eine tolle Projektionsfläche für die eigenen Ängste und Wünsche.
Liegt es nicht an dieser Unsicherheit, dass auch ein Thema wie die Digitalisierung so extrem und in solcher Hysterie von den Betroffenen beantwortet wird? Zeigt sich diese Art öffentlicher Schnappatmung nicht bei vielen Themen, die die Welt derzeit beschäftigen? Die Krise unseres Bildungssystems, wenn es denn eine ist und nicht ihr Normalzustand, ist nur ein kleiner Teil der Krise, in der sich dieser Planet befindet.
Um langsam die Fragestellung in den Blick zu nehmen: In der Tat empfinde ich die Diskussion um Digitalisierung, die nun zuletzt in der Begeisterung oder Verteufelung von „künstlicher Intelligenz“ mündete, als irreführend und müßig, wenn es darum geht, als Lehrkraft gute Arbeit zu leisten. Meine Position zu „KI“? Abgesehen von der Frechheit der wenigen Firmen, die mithilfe zehntausender, billig bezahlter Arbeitskräfte in Ländern mit schwachen Arbeitsschutzgesetzen und mithilfe der Werke und Gedanken von Millionen gar nicht bezahlter Arbeitskräfte auf der ganzen Welt die Illusion erzeugen, dass ein Rechenzentrum mehr leisten könnte als ein einzelner Mensch – darüber könnte viel mehr debattiert werden und es sollte doch eigentlich auch juristische Konsequenzen haben -, abgesehen davon also gibt es in meinen Augen nichts, was man daran in größerem Rahmen diskutieren müsste. Die Gesellschaft vergleicht ja auch nicht hysterisch Torx- und Imbusschraubendreher. Oder T-Shirts und Hemden.
Natürlich ist die Wirkungsmacht generativer Sprachmodelle gerade in der Schule spürbar. Sie zerstört vor allem Vertrauen und sät Misstrauen. Das empfinde ich in der Schule als besonders problematisch an diesen Programmen, die in der scheinheiligen Verpackung daherkommen, dass nun alles Wissen der Welt endlich individuell für jeden, also auch für Schülerinnen und Schüler anstrengungsfrei zugänglich ist: Dass sie die Beziehung zwischen uns Lehrkräften und ihnen fundamental stören. Das haben wohl auch andere Erfindungen vorher schon getan, aber die Möglichkeit, mit „KI“ zumindest mittelmäßige Ergebnisse in kurzer Zeit und auf allen möglichen Gebieten zu erreichen, dieser Verlockung erliegen naturgemäß viele Menschen. Und damit meine ich sowohl Lern- als auch Lehrkräfte. Warum ist es eine Verlockung? Weil Lernen ja doch beinhaltet, sich etwas zu eigen zu machen und dabei über sich hinauszuwachsen. Das geht nicht ohne Anstrengung.
Das utopische, potenzialistische Narrativ der Anbieter klingt attraktiv. Wer hätte etwas gegen einen Computerassistenten einzuwenden, der mich als Lernende oder Lernenden meinen ganzen Bildungsweg, vielleicht gar mein ganzes Leben digital begleitet? Der alle meine Fortschritte im Leben mitverfolgt, sortiert, analysiert und mir daraus Empfehlungen für mein Handeln und meine Pläne gibt? Der meine Lernpfade ganz individuell plant, sich in jedem Thema auf Expertenniveau auskennt und mich als perfekter Begleiter jederzeit unterstützt? Der gleichzeitig super verschlüsselt nur auf meinem lokalen System abläuft und als hochqualifizierten Trainingsdatensatz nur freiwillig zur Verfügung gestelltes und gut vergütetes Material nutzt?
In der Tat, wer hätte dagegen etwas einzuwenden? In der Realität sind wir davon aber soweit entfernt wie – ihr wisst schon (s.o.). Denn allen Versprechungen der „KI“-Unternehmen zum Trotz: Was lösen sie denn davon bisher auch nur im Ansatz ein? Äußerst wenig. Und so kann ich den Hype zwar beobachten, verstehe aber zugleich nicht, wieso irgendetwas in der Schule besser werden sollte, wenn ich solche Werkzeuge auf dem Stand der Dinge besonders aktiv und häufig einsetze. Auch die Alternativlosigkeit, die Schülerinnen und Schüler in die Nutzung einzuweisen, damit sie auf die Zukunft vorbereitet sind, die sehr von „KI“ geprägt sein wird, sehe ich nicht. Ich höre hier vor allem die Verkaufsslogans der Tech-Branche. Bis es sich lohnt, „KI“ in der Schule einzusetzen, warte ich lieber ab, wie sich die Sache entwickelt und was davon bleibt.
Ich selbst probiere mit skeptischer Neugier viel davon aus, um nicht von den Narrativen abhängig zu sein – ein sinnvolles Szenario gerade für generative Texterzeugung ist mir bisher nicht untergekommen. Dafür sind die Schwächen zu groß, der Datenschutz unzureichend, die Geschäftsmodelle zu unmoralisch.
Bei einem Fortbildungstag zu „KI“, den ich an meiner Schule zuletzt mitgestaltet habe, haben wir im Vorfeld die Schülerschaft anonym befragt, wer so etwas in der Schule einsetzt. Dabei wurde deutlich, dass etwa die Hälfte von ihnen schon einmal damit herumprobiert hat. Wenige setzen Generatoren regelmäßig ein, noch weniger von ihnen gar direkt im Unterricht, um ihre mündliche Beteiligung zu verbessern. Dieser kleine Bruchteil der Schülerschaft hat sich sofort in unseren Köpfen festgesetzt. Wer von meinen Schülerinnen und Schülern könnte das sein? Wer ist so hinterlistig, sich auf diese Weise einen Vorteil zu verschaffen? Warum liegt das Tablet von Schüler A nicht flach auf dem Tisch? Hat er etwas zu verbergen? Obwohl nur ein verschwindend geringer Teil der Schulgemeinschaft sich in solch unlauterer Weise dieser Mittel bedient, ist das Vertrauen aller gestört.
Vor noch wenigen Jahrzehnten beschränkte sich die Frage der „Werkzeuge“ im Unterricht auf die Seite der Lehrkräfte und Schule. Ob OH-Projektoren oder Beamer vorhanden sind, wie die Räume ausgestattet sind, welchen Computereinsatz die Lehrkraft plant, das waren Fragen, die nur auf einer Seite bearbeitet wurden. Heute ist Technik in der Hand fast aller Beteiligten im schulischen Bildungsprozess. Und das führt dazu, dass sie in viel stärkerem Maße in den Fokus rückt. Das zeigt sich zum Beispiel im ständigen von den Herstellern befeuerten Vergleich, welches Produkt was kann und worin besser ist oder in Ungleichbehandlungen, wenn Schülerin A von der Lehrkraft das pdf in Farbe per AirDrop bekommt, weil sich beide Geräte von Apple leisten, während Schülerin B sich dieselbe Datei umständlicher über ein Schulportal herunterladen und Schülerin C gar kein Gerät hat und deshalb mit einer Schwarzweiß-Kopie vorlieb nimmt.
Das alles lenkt in meinen Augen tatsächlich stärker als früher von der eigentlichen Sache ab, um die es in der Schule gehen sollte: Darum, möglichst viel und gut zu lernen. Letztendlich ist Lernen doch ein einfaches System: Ich brauche jemanden, der etwas lernen will und jemanden, der etwas kann. Meine Aufgabe als Lehrer sehe ich also darin, etwas so gut wie möglich zu wissen und so gut wie möglich dafür zu sorgen, dass meine Schülerinnen und Schüler Interesse bekommen und gerne von mir lernen. Dazu brauche ich neben meinem Wissen vor allem eines: eine gute Beziehung zu ihnen. Und darin sehe ich auch den Weg, der in dieser von vielen Seiten beschallten Schule weiterhin unbeeindruckt funktionieren kann:
Ich möchte meinen Schülerinnen und Schülern als Mensch gegenübertreten und sie als Menschen wahrnehmen. Damit meine ich nicht: möglichst cool und jugendnah. Ich versuche, den jungen Menschen, mit denen ich in der Schule zusammenarbeite, in wertschätzender Distanz zu begegnen. Wenn das gelingt, sind alle die Probleme, die ich oben beschrieben habe, nebensächlich. Dann sind sie nämlich bereit, mir zuzuhören, auch wenn das, was ich ihnen da sage, fremdartig und nutzlos erscheint und auch, wenn sie ihr Passwort vergessen haben, das WLAN nicht funktioniert oder ein Kabel fehlt. Lernen braucht nur Menschen, keine Technik.
Dieser Blogpost folgt einem Aufruf von Nele Hirsch und Joscha Falck.
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